Durch die Orientierung versucht der Mensch jedoch auch die Gefahren realer Erfahrungen zu umgehen. Die exakte Bestimmung seiner Lage prägt sein Handel im Ausgehenden 20. Jahrhundert (vgl. Foucault 2005). Satellitengestützte Kartografie, eine expandierende Geowissenschaft und moderne Navigationsgeräte in Mobiltelefonen und Fahrzeugen sind nur ein kleiner Ausschnitt der Errungenschaften, die das Streben nach immer genaueren Positionsbestimmungen hervorgebracht hat, und die die spezifischen Raumvorstellungen signifikant beeinflussen (vgl. hierzu auch den in der angelsächsischen Debatte gebräuchlichen Begriff der 'Cultural Geography', s. a. Dünne 2009). Dabei folgt Orientierungswissen zunächst einem Ordnungsgedanken: "Wer sich richtig orientiert, ist in der Lage Regeln daraus abzuleiten. "'Soziale' Regelungen und Orientierungsmuster werden häufig über raumzeitliche Festlegungen reproduziert und durchgesetzt." (Werle 2007: S. 374) Daraus folgt weiter eine Strategie der Vermeidung: Wer den Regeln folgt, läuft nicht Gefahr sich zu verlaufen oder gar zu verletzten. Schließlich folgt die Orientierung der Logik von Optimierung: Wer sich von Anfang an richtig orientiert, der wird seine Ziele schneller erreichen und spart daher Zeit und Weg. Wer sich richtig zu orientieren versteht, hat einen Vorteil im Handeln und Denken. Nicht alle Befunde, die sich hieraus ergeben sind relevant für eine literaturwissenschaftliche Befragung, aber einige folgen einer sozialkonstruktivistischen Logik, die es genauer in den Blick zu nehmen gilt. Die Irrfahrten des Odysseus sind unter den Bedingungen globaler Vernetzung, weltweiter Finanzströme und GPS im Armbanduhrenformat nicht mehr denkbar. (Vgl. hierzu den Befund von Benno Werlen, ebd. S. 378f). Literatur, allgemein verstanden als die künstlerische Auseinandersetzung mit menschlicher Erfahrung, muss die Veränderungen im Raumkontinuum in irgendeiner Weise aufgreifen und sedimentieren. Welche Rolle spielt also Orientierung in zeitgenössischer Literatur?